Descartes und Ostad Elahi – Philosophie, spirituelle Wissenschaft und Medizin der Seele
Der vorliegende Artikel beruht auf einem Vortrag von Elie During, Hochschullehrer der Philosophie an der Universität Paris West – Nanterre, den er im Rahmen des 26. internationalen Kongress der Philosophie der französischen Sprache (ASPLF) gehalten hat. Der Text erschien in „L’esprit cartésien“, Paris, Vrin, 2000.

Einführung

Es ist der metaphysische Ansatz, der zugleich Anlass und Rechtfertigung für die überraschend anmutende Gegenüberstellung zweier Denker ist, deren Jubiläen – das vierhundertjährige des einen, und das hundertjährige des anderen – wir im selben Jahr begehen. Um es kurz zu fassen: Das, was Ostad Elahi die ‚natürliche’ Spiritualität und Ethik nannte, lässt sich nicht trennen von einer positiven Konzeption metaphysischer Gegebenheiten, sprich einer Form des spirituellen Realismus, für den in der Vergangenheit genau genommen in erster Linie ebenjener Descartes stand. Alles hängt davon ab, wie wir sehen werden, ob wir bereit sind, unsere herkömmliche Auffassung der Wirklichkeit und, im Besonderen, der Sache (res) neu zu konzipieren.

Aber lassen Sie mich zunächst die Frage stellen, welche Gemeinsamkeiten es zwischen diesen beiden Denkern gibt, die drei Jahrhunderte voneinander trennen? Auch wenn sie selbstredend beide Philosophen sind, sind sie doch mehr als nur das: Descartes war Mathematiker und Wissenschaftler ersten Ranges, Ostad Elahi war Richter, Musiker und zudem ein außergewöhnlicher Mystiker. Worauf ich besonders eingehen werde, ist die philosophische Dimension der beiden Figuren, die nichtsdestotrotz in sehr unterschiedlichen Traditionen verankert sind: Zu den impliziten philosophischen Referenzen, auf die sich Ostad Elahi bezieht, gehören einerseits Platon, Aristoteles und Plotin, andererseits Avicenna, Suhrawardi und Mulla Sadra. Zugleich weist sein Gedankensystem erstaunlicherweise viel mehr Ähnlichkeit mit der Philosophie von Leibniz als mit der von Descartes auf.

Folglich muss man streng genommen zunächst festhalten, dass Ostad Elahi insofern kein Cartesianer ist, als sich in seinem Denken keine Anklänge zur Lehre oder zur philosophischen Bewegung des Cartesianismus finden. Aber wenn wir heute darüber sprechen – und das Thema dieses Symposiums handelt schließlich vom ‚cartesianischen Geist’ –, dann ist es nicht reiner Willkür geschuldet, Descartes und Ostad Elahi einem Vergleich zu unterziehen. Denn etwas von jenem Geist, jenem cartesianischen Stil, findet sich auch bei Ostad Elahi, so dass sich das Ganze auf die einfache Formel bringen lässt: Ostad Elahi ist cartesianisch, ohne Cartesianer zu sein.

Die Analogien in beiden Gedankensystemen beziehen sich daher nicht so sehr auf spezielle Bereiche innerhalb des jeweiligen Lehrgebäudes, als vielmehr auf eine grundsätzliche philosophische Orientierung, das heißt auf eine Gemeinsamkeit ihrer jeweiligen Interessensanliegen. Ziel dieser Ausführungen ist es, eine bestimmte Affinität zwischen zwei philosophischen Denkern herauszustellen, die sich beide im „Projekt einer universalen Wissenschaft, die unsere Natur auf den höchsten Grad der Vollkommenheit erheben kann“, wiederfinden – diese Formulierung hatte Descartes zunächst als Buchtitel für das erwogen, was er schlussendlich „Meditationes de prima philosophia“ [Meditationen über die Erste Philosophie] nannte. Wenn sich aber das Ziel unserer Untersuchung auf die Natur des Menschen und seine Vervollkommnung richtet, kommen wir nicht umhin, uns mit der Seele selbst bzw. der Seele, die sich im Körper befindet, auseinanderzusetzen. Das ist der Punkt, auf den unsere Analysen abheben müssen, wollen wir uns nicht mit Allgemeinplätzen zufriedengeben. Gerade an diesem Punkt treten im Übrigen auch Unterschiede und Ähnlichkeiten in den Gedankensystemen zutage und die geistige Verwandtschaft bzw. die Überschneidung zweier eigenständiger Denkansätze wird sichtbar.

Die Seele

Ostad Elahi stellt definitiv nicht die Frage nach dem Leben, das heißt nach der Belebung eines Körpers, der das Leben als Potential in sich trägt. Diese Frage ist tatsächlich von ihm vorweg durch die Erwähnung und Bezeichnung der „bascharischen“ Seele (Baschar in der Bedeutung vom Mensch als Spezies) geklärt worden. Dass der Körper per se belebt ist, darf als grundsätzliches und selbsterklärendes Konzept gelten. Der Körper, das ist die stoffliche Hülle, die von einer tierisch-menschlichen Seele belebt ist und ihn dadurch zu einem lebendigen Wesen macht. Das eigentliche Problem ist daher zu wissen, was mit der engelhaften Seele geschieht, die der Überlieferung zufolge dem göttlichen Odem entstammt und sich mit dem Körper vereint. Dieser „Trialismus“ (ein Körper, zwei Seelen) von Ostad Elahi weist daher noch deutlicher als bei Descartes die Frage nach der Kommunikation der Substanzen zurück, da sich eigentlich alles in der Verbindung der beiden Seelen, die von gleicher spiritueller Natur sind, abspielt.

Das eigentliche Problem beginnt, wenn wir diese Vereinigung, genauer gesagt, diese Hypothese der Vereinigung, als wahr anerkennen. Nun geht es nicht mehr darum zu wissen, wie die jeweiligen Substanzen, die gänzlich voneinander getrennt zu sein scheinen, miteinander kommunizieren, sondern vielmehr darum, zu verstehen, wie sich die beiden Elemente in dieser Beziehung wandeln und welcher Austauschlogik – die als Leitprinzip jedwedem ethischen und spirituellen Leben zugrunde liegt – sie folgen. Eine Theorie der Seele hat folglich die Aufgabe, das Spiel der Wechselwirkungen, das ‚Verschmelzen’ zu beschreiben, das sich im spirituellen Raum ereignet, so dass Ereignisse, Entwicklungen und Prozesse Gegenstand einer philosophischen Beschreibung werden können – ähnlich dem Vorgehen in Anatomie und Medizin. Im Grunde sind es gerade Sinn und Bedeutung der Inkarnation, die im Zentrum der Betrachtung stehen. Und sowohl bei Descartes als auch bei Ostad Elahi ist es gerade die Frage nach den Leidenschaften, die das falsche Problem der Vereinigung [mehrerer Substanzen] in ein echtes ethisches und spirituelles Problem transformiert.

Ein spiritueller Topos

Lassen Sie mich im Vorliegenden davon ausgehen, dass die cartesischen Positionen bekannt sind. Infolgedessen wird die Gegenüberstellung, der wir nachgehen möchten, vorwiegend implizit sein und Descartes wird darin im Vergleich zu Ostad Elahi nur eine untergeordnete Rolle spielen. Letzterer legt erheblichen Wert darauf, den Mechanismus der Leidenschaften im Rahmen einer Theorie der Vervollkommnung der Seele in seiner Bedeutung näher zu erläutern. Wie genau aber funktioniert dieser Mechanismus?

Ich kann den spirituellen Topos, den Ostad Elahi im Rahmen der Vereinigung errichtet, hier nur andeutungsweise skizzieren. Daher einige Stichworte, die streng genommen, mehr Zeit benötigen würden, um näher erläutert zu werden:

­- Das Selbst des gewöhnlichen Bewusstseins, das an der Verbindungsstelle von Körper und Seele auftritt, also zwischen tierisch-menschlicher und engelhafter Seele – es ist dies das eigentliche oder metaphysische Selbst.

­- Das Herrschsüchtige Selbst, das keine substantielle Existenz besitzt, aber aus einer Ungleichgewichtsfunktion heraus agiert und auf die Seele das Bild ungezügelter animalischer Instinkte projiziert (was Descartes mit „Inklination“ bezeichnet).

­- Die spirituelle Willenskraft oder Stärke der Seele in Verknüpfung mit dem himmlischen Intellekt. (Descartes würde sagen: „reflexiver Wille in Verbindung mit Vernunft“). Diese beiden an sich spirituellen Instanzen sind verantwortlich für die Regulierung oder den richtigen Gebrauch der Leidenschaften, sie bilden das Herzstück der Ethik und werden bei Ostad Elahi in ihrer vollendeten Form als „Aufrichtigkeit“ (oder „fester und aufrichtiger willentlicher Entschluss“) bezeichnet bzw. bei Descartes als „Großzügigkeit“ – wobei es natürlich keinen Sinn machen würde, diese beiden Konzepte als vollkommen identisch anzusehen.

Im Zentrum dieses spirituellen Topos steht das Herrschsüchtige Selbst und alles, was damit einhergeht an Kämpfen und Machtspielen, an Druck und Gegendruck. Entgegen allen Normvorstellungen, die bezüglich Askese herrschen, betont Ostad Elahi wiederholt, dass wir den Körper oder das Herrschsüchtige Selbst nicht schwächen, sondern vielmehr die Seele stärken sollten, so dass sie den Ausschreitungen [des Herrschsüchtigen Selbst] gewappnet ist und stets ihr Gleichgewicht und ihre Balance bewahrt.

Der Grundprozess: Eine osmotische Beziehung

Wie aber lässt sich die Vereinigung [von Körper und Seele] in eine spirituelle Zielsetzung integrieren? Wie ist das Werden der Seele im Rahmen der Vereinigung zu verstehen? Neben den schon genannten Elementen (engelhafte Seele, bascharische Seele, Herrschsüchtiges Selbst) sind an dieser Stelle weiter anzuführen die verschiedenen Charaktermerkmale (Seelenarten, spirituellen Kapazitäten, Entwicklungsstufen), die Pathologie (Störungen, Krankheiten der Seele) sowie selbstverständlich die Physiologie [der Seele]. Ostad Elahi versteht diese Begriffe durchaus im Sinne der medizinischen Wissenschaften, das heißt, im Sinne einer Theorie der natürlichen Funktionsweise der Vereinigung [von Körper und Seele].

Dort, wo nun Descartes ein mechanisches, sich auf die Regulierung der Leidenschaften (durch Einsatz von Kraft, Druck und Gegendruck) beziehendes Modell vorschlägt, entwirft Ostad Elahi ein Modell biologischer bzw. medizinischer Art, das der Osmose. Zwischen Körper und Seele befindet sich eine osmotische Membran, die den Austausch von Substanzen zwischen den beiden Teilen des Selbst regelt. Es ist nun die Aufgabe der Seele (wie bereits erwähnt, mithilfe der transzendenten Willenskraft und dem himmlischen Intellekt), die Sensitivität dieser Membran zu kontrollieren, um eine perfekte Beziehung zwischen ein- und austretenden Elementen herzustellen. Indem man nun die Gesetzmäßigkeit dieser osmotischen Beziehung [erkennt und] steuert, wird der Zweck der Vereinigung [von Körper und Seele] im Rahmen des allgemeinen Prozesses der Vervollkommnung tatsächlich erst erkennbar. An dieser Stelle wird meines Erachtens die Originalität von Elahis Theorie der Vereinigung am deutlichsten sichtbar, was ich im Folgenden in wenigen Sätzen zusammengefasst veranschaulichen möchte.

Die engelhafte Seele in ihrem ursprünglichen Zustand ist rein. Will man die Göttlichkeit mit einem unendlichen Ozean vergleichen, so erklärt Ostad Elahi, wäre die engelhafte Seele als das Äquivalent reinsten, destillierten Wassers zu begreifen. Das Wasser selbst trägt demzufolge noch nicht den Reichtum der Zusammensetzung des göttlichen Ozeans in sich; es wurde ihm lediglich die Gelegenheit gegeben, durch sukzessive Aufenthalte in menschlichen Leben (durch die Verschmelzung mit dem physischen Körper) die ‚Qualitäten’ des Ozeans zu erwerben. Das wiederum ist gerade deshalb möglich, weil die Grundbestandteile dieser ‚Qualitäten’ im Überfluss im menschlichen Körper vorhanden sind. Der gesamte Prozess der Vervollkommnung besteht im Grunde darin, die Elemente, die im Übermaß im ‚Tier-Menschen’ vorhanden sind, in optimaler Menge [durch die Membran] in die engelhafte Seele passieren zu lassen. Am Ende dieses Prozesses entwickelt die Seele eine Natur, die der des göttlichen Ozeans gleicht; sie wird wahrhaftig ein Wassertropfen dieses Ozeans und kehrt an ihren Ursprung zurück.

Um aber jegliche Missverständnisse (bedingt durch eine naive Interpretation dieser Metapher) zu vermeiden, sollte folgendes klargestellt werden: Wenn vom Körper gesprochen wird, handelt es sich tatsächlich stets um die bascharische Seele. Aus diesem Grund sind die Qualitäten und Wirkungen, die die Seele in ihrer Verbindung mit dem Körper sucht, Eigenschaften psychologischer Natur („Spuren“ und „Wirkungen“ dürfen nicht im Sinne der Scholastik als „Einprägungen der jeweiligen Spezies“ verstanden werden).

In dieser Physik oder Medizin der Seele ist die Ethik weniger im klaren Bewusstsein um ein moralisches Gesetz begründet, als vielmehr in einer Willensanstrengung, die darauf abzielt, die Seele zu stärken und im Rahmen des Vereinigungsprozesses ihre vollkommene Meisterschaft zu erlangen. Das höchste Ziel dieses Prozesses – und somit auch der osmotischen Beziehung – ist die Umwandlung der Seele, deren Beschaffenheit sich sozusagen in die des Göttlichen transformieren muss. Die „Vergöttlichung des Menschen“, um es mit Platon auszudrücken, geschieht folglich durch die Alchemie der Vereinigung, durch eine Art Destillation, die aus dem Körper selbst und damit aus der Materie das bezieht, was der Seele fehlt, damit sie dem Göttlichen ähnlich werden kann. In Hinblick auf die theologische Relevanz dieser These ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass sie alle traditionellen Modelle des Herabsteigens, der Inkarnation und der Läuterung [der Seele] auf den Kopf stellt. Die Seele ist nicht in einem Körper inkarniert, um Potentiale, die sie von Anfang an besessen hat, zu realisieren; vielmehr ist es ihre Aufgabe, eine Umwandlung ihrer eigenen Substanz zu vollziehen und die in ihr schlummernden außerordentlichen Kräfte zu entwickeln, indem sie die im Körper vorhandenen Substanzen filtert und wohldosiert aufnimmt.

Zusammenfassung

Ostad Elahi elaboriert die Vorstellung des Philosophen-Arztes in einer noch deutlicheren Weise als Descartes selbst, der offen bekennt, „weniger als Redner oder Moralphilosoph, denn als Physiker“ sprechen zu wollen. Die „natürliche Spiritualität“, so Ostad Elahi, ist eine Medizin der Seele. Dem ist in erster Linie so, weil die Seele eine Sache ist. Man hat Descartes zur Genüge kritisiert, weil er diesen Punkt besonders hervorhob und die Seele als „res cogitans“ (denkende Sache) bezeichnete. Aber nur unter dieser Annahme lässt sich ein Topos, eine Topologie sowie eine Typologie der Seele entwerfen.

Was ist nun ein Ding, im allgemeinsten Sinn des Wortes, wenn nicht eine Qualität in Verbindung mit der Reichweite seiner Dimension? Diese Reichweite könnte entweder nur in der Vorstellung existieren – oder im genauen Sinn des Begriffs, wie Suhrawardi oder Mulla Sadra ihn verstehen, „imaginal“ sein. Wir müssen somit davon ausgehen, dass die Seele eine Sache ist, eine spirituelle Sache, eine imaginale Sache. Sie ist eine Multiplizität, die sich in der Vereinigung mit dem Körper realisiert, die über Teilbereiche, essentielle Bestandteile und eine komplette Struktur verfügt und in Kontakt mit ihrer Umwelt steht. Die Möglichkeit eines spirituellen Realismus, der die geistige Dimension des Menschen weder auf einen Knochen noch auf eine immaterielle Substanz, die nicht mehr ist als ein Double des ätherischen Körpers, reduziert, scheint mir die elementare Fragestellung zu sein, die durch die vergleichende Lektüre von René Descartes und Ostad Elahi aufgeworfen wird.