Um die Tiefe des Gedankenguts von Ostad Elahi und seinen pragmatischen Ansatz der Spiritualität besser zu verstehen, sollte man nicht nur seine Schriften heranziehen, sondern auch seine mündlichen Unterweisungen. Diese wurden zu größten Teilen transkribiert und posthum in zwei Zitatebänden veröffentlicht. Ob es sich nun um Erzählungen aus seinem Leben handelt oder um allgemeine Ausführungen – stets ist sein Sprachstil einfach und direkt. Seine Zitate geben dem aufmerksamen Leser die Möglichkeit, schrittweise zu begreifen, worum es sich bei dieser Wissenschaft der spirituellen Vervollkommnung handelt: Ostad Elahi zufolge ist sie die neue Medizin der Seele und sie hat zum Ziel, die Menschlichkeit in uns zur Entfaltung zu bringen, indem wir die korrekten ethischen und göttlichen Prinzipien in die Praxis umsetzen.

Nach seiner Pensionierung ließ sich Ostad Elahi in Teheran nieder und empfing bei sich zuhause Besucher aller Couleur. Einige verehrten ihn wie einen Heiligen und kamen zu ihm, um seinen Segen zu erbitten. Andere kamen, um seine Musik zu hören oder ihm Fragen zur Mystik oder zur Philosophie zu stellen, darunter auch einige Orientalisten oder Künstler aus dem Westen.

Aus der Mitte dieses Kreises an Bekanntschaften formte sich allmählich ein kleiner Kern an Schülern heraus, die Ostad als seine spirituellen Freunde oder spirituellen Kinder bezeichnete. Diese kleine Gruppe von Wahrheitssuchern trachtete in erster Linie danach, ihre Seele zu erhöhen und spirituelle Vollkommenheit zu erlangen. Auch heute noch erinnern sich die Teilnehmer dieser Treffen sehr lebendig an das außerordentliche Wohlwollen, das seiner Person entströmte.

Gleich ob er seine persönlichen Erfahrungen einbrachte oder eine philosophische Argumentationskette spann, ob er eine Geschichte erzählte oder einen Ratschlag gab – stets wählte er Worte, die der Geistesverfassung und der Mentalität seiner Zuhörer entsprachen. Dem Gelehrten gegenüber wählte er die Sprache der Gelehrten, und dem Ungebildeten gegenüber sprach er mit einfacheren, aber nicht weniger tiefgründigen Worten. Seine Worte beruhten auf gelebter Erfahrung und umfassender ethischer und spiritueller Praxis und so gelang es ihm, noch die komplexesten philosophischen und moralischen Zusammenhänge auf verständliche Weise zu erklären.

Die Lehren von Ostad Elahi beziehen sich auf den Begriff der ‚Quintessenz der Religionen‘. Das verdeutlicht, dass sie nicht auf eine bestimmte Religion oder Glaubensrichtung reduzierbar sind. Er sieht den Menschen vielmehr jenseits von geschlechtlichen, kulturellen oder religiösen Unterschieden. Wer spirituelle Vollkommenheit sucht, dem empfiehlt er, seinen Glauben an Prinzipien auszurichten, die nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der göttlichen Religionen stehen.

Für Ostad Elahi ähnelt die spirituelle Vervollkommnung einem universitären Ausbildungsprogramm, das einen freiwilligen, bewussten Einsatz erfordert. Die Module, die in diesem Programm erlernt werden müssen, sind die göttlichen Wahrheiten, und das Hauptziel ist, uns auf die Stufe der Selbsterkenntnis zu führen – und von dort zur Vollkommenheit. Um Fortschritte machen zu können, ist es notwendig, mit der Geisteshaltung eines ernsthaften und beharrlichen Studenten vorzugehen. Ostad Elahi betont insbesondere die Tatsache, dass die spirituelle Vervollkommnung in erster Linie eine praktische Lernerfahrung ist und nicht allein auf theoretischen Überlegungen gründen darf:

Dieser Weg ist kein Weg der Worte, sondern ein Weg der Taten – nur durch Taten kommen wir voran.

Unter den Schülern von Ostad Elahi war es seine Schwester Malek Jan (1906-1993), die zu den ersten gehörte, die seine spirituelle Persönlichkeit erkannten und in vollem Maß von seiner Lehre profitieren konnten. Es ist dem Engagement dieser außergewöhnlichen Frau zu verdanken, dass die Lehren von Ostad Elahi fortbestehen und einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden konnten.