Die Musik Ostad Elahis hat ihre Wurzeln in einer musikalischen Tradition, die über Jahrhunderte geheim gehalten wurde. Bis vor kurzem wurde diese Musik lediglich in kleinen Gruppen zum Zwecke des Gebets oder der Meditation eingesetzt. Ostad Elahi selbst spielte niemals in der Öffentlichkeit: seine Musik diente der Andacht, und er spielte für sich oder im Rahmen kleiner Zusammenkünfte von Familie und Freunden. Die Stücke, die uns geblieben sind, wurden gegen Ende seines Lebens von seiner Familie mit sehr einfacher technischer Ausrüstung aufgezeichnet. Insgesamt handelt es sich dabei um 40 Stunden Material, das ursprünglich auf Magnetband aufgenommen und inzwischen in Teilen digitalisiert und veröffentlicht ist. Bei all jenen, die die Gelegenheit hatten, ihn spielen zu hören – unter ihnen berühmte Musikkünstler und -wissenschaftler – hat seine Kunst einen tiefen Eindruck hinterlassen.

In der Zeit vom 5. August 2014 bis 11. Januar 2015 fand eine Sonderausstellung am Metropolitan Museum of Art mit dem Titel „The Sacred Lute: The Art of Ostad Elahi” statt, die seine Musik erstmals einem internationalen Publikum vorstellte. Sie verdeutlicht, welche weitreichenden Veränderungen Ostad Elahi an der Tanbur, aber auch in Bezug auf ihre Spieltechnik und ihr Repertoire vornahm, und inwiefern er dadurch diese althergebrachte musikalische Tradition auf das Niveau einer angesehenen Kunstform erhob.

Wunderkind

Ostad Elahi wurde in eine Umgebung hineingeboren, in der es eine jahrhundertealte Tradition spiritueller Musik gab, die das tägliche Leben durchwob. Von früher Kindheit an zeigte er eine Vorliebe und außergewöhnliche Begabung für die Musik, vor allem auf der Tanbur, einer kurdischen Laute, die das bevorzugte Instrument der Tradition war, die er geerbt hatte. Sein Vater Hadj Nematollah, der seinerzeit zu den Meisterspielern auf der Tanbur gehörte, nahm sich schon früh der musikalischen Ausbildung seines Sohnes an. Als der junge Nur Ali begann die Tanbur zu spielen, waren seine Hände so klein, dass er die Bünde eines normalgroßen Instruments nicht fassen konnte; daher ließ sein Vater für ihn aus einer hölzernen Schöpfkelle eine spezielle Tanbur anfertigen.

Unter den Freunden und Mystikern, die aus verschiedenen Teilen des Irans, ja sogar aus den Nachbarländern zu Hadj Nematollah kamen, um ihn zu besuchen, waren viele vollendete Musiker. Das Kind verbrachte viel Zeit mit diesen Musikern, die es auf die Bitte von Hadj Nematollah hin in die Geheimnisse ihrer Kunst einweihten. Auch dann, wenn er mit seinem Vater in andere Landesteile reiste, teilten die lokalen Tanburspieler ihr Wissen mit diesem Wunderkind.

Auf diese Weise kam Ostad Elahi von früher Kindheit an mit den technischen Finessen der kurdischen, lorischen, persischen, türkischen, arabischen und sogar indischen Musik in Berührung. Sein Talent für die Musik war so einzigartig, dass sein spielerisches Können und sein Wissen schon im Alter von sechs Jahren allgemein Bewunderung auslösten; als er das Alter von neun Jahren erreicht hatte, erwiesen die Meister der Musik ihm ihren Respekt und ihre Hochachtung, indem sie in seiner Anwesenheit nicht mehr spielten. Der Askesezyklus, den er in diesem Alter begann und der zwölf Jahre dauern sollte, ermöglichte es ihm, seine Verbindung mit dem Instrument zu vertiefen und neue Bereiche des sakralen Repertoires zu erforschen. Es war zu dieser Zeit, dass er zuweilen ganze Nächte damit verbrachte, auf der Tanbur zu spielen – bis hinein in die Morgendämmerung, versunken in Gebete und spirituelle Visionen. Seinen eigenen Worten zufolge hoben sich in diesen Nächten die Schleier und ihm wurden die Geheimnisse der unsichtbaren Welt enthüllt. Vermutlich waren es diese inneren Zustände, die sein Band mit der sakralen Musik intensivierten – vor allem mit der Tanbur –, so dass das Spiel auf diesem Instrument zu einem unverzichtbaren Bestandteil seines Tagesablaufs wurde.

Als ich jung war, wohnten wir in einem Haus, das alles hatte, was man brauchte… Ich hatte einen Raum für mich, wo ich hin und wieder am Abend die Tanbur nahm und anfing zu spielen… manchmal merkte ich, dass die Sonne ins Zimmer schien, es Tag geworden war und ich die ganze Nacht damit verbracht hatte zu spielen und mit der Musik zu beten.

Als ich noch ein Kind war, schenkte man mir eines Tages ein Rebhuhn. Dieses Rebhuhn hatte sich in den Klang meiner Tanbur verliebt. Immer wenn ich das Instrument in die Hand nahm, setzte es sich auf meinen Schoß, wurde kurz darauf berauscht von der Musik und fing lieblich zu piepen an; es kratzte sanft meine Hand und pickte sie mit dem Schnabel – kurzum, es war außer sich vor Freude. Nachts schlief es auf einem Regal in meinem Zimmer. Eines Morgens zu früher Stunde, als ich schlafen wollte, fing es an zu singen. Als ich schimpfte, es solle still sein, senkte es sofort traurig den Kopf und verstummte. Von da an war es so, dass das Rebhuhn sich, wenn es morgens früh erwachte, an mein Bettende setzte, leicht an meiner Decke zog und ein wenig zirpte. Reagierte ich nach zwei oder drei Versuchen nicht, dann verstand es, dass ich schlafen wollte, und entfernte sich. Wenn ich aber sagte: ‚Ah, was für eine liebliche Stimme!‘, dann fing es sogleich zu singen an.

Sogar während seiner beruflichen Tätigkeit nahm die Musik einen bedeutenden Platz im Leben von Ostad Elahi ein. Nicht nur war die Musik für ihn ein Mittel, um sich mit der Quelle zu verbinden, er unternahm auch laufend Forschungen auf dem Gebiet der Musik. Seine diversen beruflichen Einsätze erlaubten ihm, in der jeweiligen Region die größten Meister der Musik zu treffen, um seine musikalischen Kenntnisse zu vertiefen. In Teheran hatte er zum Beispiel die Gelegenheit, namhafte Musiker wie Darvish Khan (1872-1926) oder Abolhassan Saba (1902-1957) kennenzulernen. Neben der Tanbur spielte Ostad Elahi die Tar, die Setar und die Violine. Aufgrund seiner mehrmaligen Versetzungen konnte er darüberhinaus auch Einblicke in die musikalischen Traditionen von Aserbeidschan und Chorassan gewinnen.

Es gibt zwei Dinge, für die mir meine Zeit nie zu schade war: Die Tanbur und die spirituelle Vervollkommnung.

Für Ostad Elahi diente die Musik in erster Linie dem Gebet und der Meditation; das ist auch der Grund, warum er meist alleine oder nur im engen Kreis von Familie und Freunden spielte.