Anders als seine wissenschaftlichen Schriften sind Ostad Elahis mündlich weitergegebene Lehren stets von einer einfachen, leicht zugänglichen und für jedermann verständlichen Sprache gekennzeichnet. Diese mündlichen Unterweisungen wurden von seinem Sohn Bahram Elahi in zwei Bänden unter dem Titel Asar ol-Haqq (Spuren der Wahrheit) zusammengestellt und posthum herausgegeben. Ostad Elahi antwortet hierin auf Fragen, die ihm Mitglieder seiner Familie, Freunde oder Besucher aus allen Lebensbereichen stellten. Dementsprechend weitläufig sind die Themen – sie reichen von der Sehnsucht nach Transzendenz über die Stufen der Selbsterkenntnis bis hin zur Rolle der kontemplativen Praxis und dem Prozess der Vervollkommnung. Eine Auswahl aus diesen Texten bietet der kleine Band Paroles de Vérité (Worte der Wahrheit), der 2014 in französischer Sprache erschienen ist. Im Folgenden wurden einige dieser Zitate nach Themenbereichen gruppiert.

Über die Ethik

Der Grundpfeiler des Lebens in dieser Welt ist, das Recht des Anderen zu respektieren.

Ein wahrer Mensch ist jemand, der sich am Glück anderer erfreut und ihr Leid mit ihnen teilt.

Ein wahrer Mensch stellt stets die Interessen anderer vor seine eigenen, anders als gewöhnliche Sterbliche, die zuallererst ihr eigenes Interesse verfolgen und nur dann an andere denken, wenn sich die Gelegenheit ergibt.

Das Gute sollte man aus Pflicht und mit der Intention der göttlichen Zufriedenheit tun. Wenn ihr Gutes tun möchtet, schaut nicht auf die Person, denkt nur an eure Pflicht und an die göttliche Zufriedenheit. Unter dieser Bedingung wird euch der Gewinn aus euren Taten bleiben.

Wer menschlich ist und Glauben hat, der hat ein empfindsames, mitfühlendes und großzügiges Herz und nimmt Anteil am Leid des Anderen. Das ist ein Zeichen, dass er das göttliche Licht in seinem Herzen trägt. Umgekehrt gilt, wer ein hartes Herz hat und kein Mitgefühl empfindet, der hat dieses Licht nicht in seinem Herzen.

Über die Selbsterkenntnis

Wer sich auf den Weg zur Vollkommenheit begeben möchte, sollte zuallererst seine Intention prüfen. Ist seine Intention, göttliche Zufriedenheit und Nähe zu erlangen, wird er am Ziel ankommen. Wenn nicht, fehlt ihm die entscheidende Grundlage.

Die Wahrheit besteht für den Menschen darin zu wissen, was er ist, woher er kommt, was seine Pflichten hier sind und wohin er geht. Wenn er diese Fragen zum Gegenstand seiner Suche gemacht, sie praktisch umgesetzt und verstanden hat, hat er die Wahrheit erreicht.

Der Schlüssel zur Selbsterkenntnis ist sich selbst zu ergründen, mit anderen Worten, Gott in sich selbst zu suchen. Die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis ist in jedem Menschen angelegt, aber man muss ihr Rätsel erst entschlüsseln.

Solange der Mensch sich nicht selbst erkennt, kann er Gott nicht erkennen. Der erste Schritt zur Selbsterkenntnis ist der Kampf gegen Selbstsucht und Ichbezogenheit.

Der Schlüssel, der alle spirituellen Türen öffnet, ist Willenskraft. Wenn der Mensch mit der Kraft seines Willens sein Ego meistert, kann er mit der spirituellen Welt in Verbindung treten.

Über das Leben in Gesellschaft

Meine Denkschule ist wie eine neue Medizin [der Seele], die ich nach vielen Jahren der Askese, der Erfahrungen und der Forschungen entwickelt habe – in der Tat Erfahrungen, die ich am eigenen Leib durchlebt habe.

Solange ich nicht in den Staatsdienst eingetreten war, wusste ich nicht, dass die zwölf Jahre der Askese und der Meditation, die ich regelgemäß durchlief, genauso viel wert waren wie ein einziges Jahr Arbeit in der Verwaltung. Mein Beruf und die damit verbundenen heiklen Situationen haben mich mit allen Arten von Versuchungen in Berührung gebracht, und doch bin ich nicht erlegen – jedes einzelne dieser Jahre hatte daher genauso viel Wert wie meine zwölf Jahre der Askese.

Dieser Weg… ist kein Weg der Worte, sondern ein Weg der Taten – nur durch Taten kommen wir voran.

Man darf sich nicht von der Gesellschaft zurückziehen, um in Abgeschiedenheit und Gebet zu leben – wie die Mystiker der Vergangenheit. Ihr müsst in Gesellschaft leben und dabei stets mit eurer Aufmerksamkeit bei der Quelle sein.

Es gibt nichts Besseres für einen spirituellen Studenten, als stets sein Ziel vor Augen zu haben, wie jemand, der an einen bestimmten Ort gelangen möchte: er sollte lieber nicht in Schaufenster blicken oder sich sonstwie ablenken lassen, sondern mit großen Schritten auf sein Ziel zugehen.

Über Religion und Gebet

Religion bedeutet, Gott zu erkennen und so zu handeln, wie Er es möchte. Und was Er von uns möchte, möchte Er mit dem Ziel, das friedliche Zusammensein der Geschöpfe zu gewähren.

Es sind die Sekundärvorschriften, in denen sich die Religionen voneinander unterscheiden – was aber ihre Grundprinzipien und ihr Ziel anbelangt, sind sie eins.

Was die Glaubensüberzeugungen der Leute betrifft, mischen wir uns nicht ein. Das, was zählt, ist, dass sie sich wie wahre Menschen verhalten, also einen guten Kern, gute Prinzipien und gute Intentionen haben.

Für Gott zählt das Herz, nicht Wort oder Sprache. Ob ihr nun auf Arabisch, Persisch oder in irgendeiner anderen Sprache sprecht oder auch gar nichts sagt – für ihn zählt nur das Herz.

Gott akzeptiert jedes persönliche und intime Gebet, unabhängig von Zeit, Ort, Situation und Form – vorausgesetzt, dass die Aufmerksamkeit auf die Quelle gerichtet ist.